1. EIN BEIRAT – WOZU?
1. EIN BEIRAT - WOZU?
INTEGRATION ERFOLGREICH GESTALTEN
Integration und Migration sind Themen, die für unsere Gesellschaft von enormer Bedeu- tung sind: Schon heute hat in Bayern jeder Fünfte seine Wurzeln in einem anderen Land – Tendenz steigend.1
Doch wie gelingt Integration? Wie geschieht die praktische Umsetzung der Integrations- politik vor Ort? Diese Fragen beschäftigen die Politik nicht nur in Berlin und München. Viele bayerische Kommunen haben sich bereits auf den Weg gemacht – mit unter- schiedlichen Konzepten und Ressourcen sowie unterschiedlicher Geschwindigkeit. Denn wie gut und wie schnell Menschen mit Migrationsgeschichte² Teil der Gesellschaft wer- den können und dürfen, entscheidet sich dort, wo sie leben und arbeiten.
Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Einer der entscheidenden Faktoren aber ist, ob Menschen mit Migrationsgeschichte die Möglichkeit haben, aktiv mitzuwirken. Ein funk- tionierender Ausländer- oder Integrationsbeirat ist für die Kommune und die Migrant- _innen eines der wichtigsten Instrumente, um Beteiligung zu ermöglichen.
POLITISCHE MITWIRKUNG
Beiräte bieten Migrant_innen die Möglichkeit, auf kommunaler Ebene politisch mitzuwir- ken. Das ist sehr wichtig, denn:
- Eine demokratische Gesellschaft lebt von Partizipation.
- Integration kann nur gelingen, wenn Menschen mit Migrationsgeschichte sich aktiv an den Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen beteiligen können.
- Die Einbindung von Menschen mit Migrationsgeschichte, ihren sprachlichen und kulturellen Ressourcen sowie ihrem Zugang zu migrantischen Netzwerken ist für eine erfolgreiche Integrationspolitik und -arbeit unverzichtbar.
- Für Migrant_innen, die aus Nicht-EU-Ländern kommen und deshalb kein Wahlrecht in Deutschland haben, ist der Beirat oft eine der wenigen Möglichkeiten, sich politisch engagieren und artikulieren zu können.
SCHARNIER ZWISCHEN POLITIK UND MIGRANT_INNEN
Beiräte erfüllen eine klassische Scharnierfunktion, denn sie sind:
- Ansprechpartner und Sprachrohr für Migrant_innen
- Türöffner für diejenigen, die (noch) Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft sowie für diejenigen, die einen Zugang zu Migrantengruppen suchen
- Beratungsgremien für Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit
- Infrastruktur für den (integrationspolitischen und interkulturellen) Dialog in der Kommune
Beiräte machen Vorschläge für eine aktive kommunale Integrationspolitik, die die Interessen der Menschen mit Migrationshintergrund berücksichtigt und ernst nimmt. Zugleich sind sie als Ansprechpartner der Migrant_innen diejenigen, die für städtische Entscheidungen werben und Menschen zur aktiven Teilhabe motivieren.
BRÜCKENBAUER IN EINER GESELLSCHAFT DER VIELFALT
Viele gewählte Migrantenvertreter_innen aus den Beiräten Bayerns verstehen ihre Aufgaben aber weit umfassender:
- Sie unterstützen Menschen mit Migrationsgeschichte mit Beratung und konkreten Tipps im Alltag: bei Problemen mit Vermietern, bei der Arbeitssuche oder bei der Suche nach der richtigen Beratungsstelle oder dem/ der Ansprechpartner_in in der Stadtverwaltung.
- Sie bringen Themen und Sichtweisen in die örtliche Politik ein, die sonst leicht übersehen werden.
- Sie wirken bei der Entwicklung von Lösungen für aktuelle und strukturelle Probleme mit.
- Sie initiieren interkulturellen Dialog.
- Sie erweitern mit ihrer Migrationserfahrung den Kreis der Akteur_innen in der Kommunalpolitik.
- Durch sie wächst das Verständnis in der Politik und Verwaltung für die spezifischen Bedürfnisse und besonderen Probleme der Migrantinnen und Migranten.
- Sie helfen durch persönliche Kontakte, Vorbehalte gegenüber Verwaltungen bei Menschen mit Migrationsgeschichte abzubauen.
NETZWERKE KNÜPFEN
Die Erweiterung des städtischen Netzwerks um Migrantenorganisationen ist zugleich ein wesentlicher Teil des Integrationsprozesses selbst. Die Migrantenvertreter_innen wirken hier als Berater_innen, Vermittler_innen und Multiplikatoren_innen – und davon profitiert die Kommune.
Denn Beiräte arbeiten vernetzend zwischen verschiedenen Migrantengruppen, Fach- kräften und bürgerschaftlich engagierten Akteuren in den kommunalen Integrations- prozessen, sie helfen bei der Kontaktaufnahme zu Migrantenorganisationen und tragen wesentlich zum Aufbau und zur Erweiterung kommunaler und lokaler Netzwerke bei.
VERANTWORTUNG FÜR DAS GEMEINWESEN
Beiräte wirken mehrfach im Sinne einer partizipativen Demokratie: Zum einen werden Migrant_innen durch ihre Arbeit in den Beiräten direkt in die kommunalpolitische Arbeit eingebunden. Zum anderen repräsentieren und vertreten Beiräte eine heterogene gesellschaftliche Gruppe, die sonst nicht oder kaum in den Kommunen vertreten ist. Darüber hinaus öffnen Beiräte Wege zu Migrantenvereinen, Netzwerken und Commu- nities, zu denen Verwaltung und Politik bisher kaum Zugang haben.
INTEGRATION IST EINE QUERSCHNITTSAUFGABE DER POLITIK
Das Thema Integration soll in allen politischen Handlungsfeldern (z.B. Bildung, Wohnen, Arbeit) vorkommen. Daher ist ein gut funktionierender Beirat im Interesse der Politik, der Verwaltung und aller Bürger_innen
WAS HAT EINE KOMMUNE VON EINEM BEIRAT?
Eine Kommune hat einen großen Nutzen durch einen aktiven Beirat:
- Beiratsmitglieder mit ihrem ehrenamtlichen Engagement, ihren Erfahrungen und ihrem mehrsprachigen und interkulturellen Wissen sind eine wertvolle Unterstützung für die Integrationsarbeit.
- Ein Beirat bringt Themen und Sichtweisen von Migrant_innen ein, die sonst oft nicht mitbedacht werden.
- Beiratsmitglieder engagieren sich für Belange, die für alle Bürger_innen von großer Bedeutung sind.
- Ein Beirat schafft eine Infrastruktur für den integrationspolitischen und interkulturellen Dialog in der Kommune.
- Ein Beirat ermöglicht andere Zugänge zu Zielgruppen (Migrantenvereine, Netzwerke, Communities).
- Beiratsmitglieder helfen, Vorbehalte gegenüber Verwaltungen bei Migrant_innen abzubauen: sie machen die Arbeit der Verwaltung bekannt, erklären und werben für kommunale Entscheidungen und vermitteln bei Kommunikationsproblemen.
- Der Beirat sorgt dafür, dass Migrant_innen in die kommunalpolitische Arbeit einge- bunden sind, selbst wenn sie kein Wahlrecht haben.
- Mit seiner Präsenz in der Öffentlichkeit sendet der Beirat ein Signal für die Zugehörig- keit und Akzeptanz von Migrant_innen in der Kommune.
WAS HABEN MIGRANT_INNEN VON IHRER EHRENAMTLICHEN MITARBEIT IM BEIRAT?
Ehrenamtliche Beiratsmitglieder
- vertreten die Interessen der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in der Kommune
- können eigene Interessen und Bedarfe formulieren und öffentlich einbringen
- sind Türöffner für Menschen mit Migrationshintergrund
- unterstützen Eingewanderte durch Tipps und Beratung
- nehmen ihre Bürgerrechte wahr, indem sie sich politisch beteiligen
- zeigen, dass Migrantinnen und Migranten zur Gesellschaft gehören und sich auch bürgerschaftlich engagieren
- können ihren persönlichen Horizont und ihr Wissen im kommunalpolitischen Bereich erweitern
DER BEIRAT ALS WEG ZUM KOMMUNALPOLITISCHEN ENGAGEMENT
Die Möglichkeit für Migrant_innen, kommunalpolitisch aktiv zu sein, hat eine besondere Bedeutung, denn
- Migrant_innen sind noch nicht repräsentativ in politischen Strukturen vertreten.
- Noch gibt es kein Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger_innen. Für sie ist der Beirat eine wichtige Möglichkeit, Einfluss auf die Kommunalpolitik zu nehmen.
Ein Ersatz für Wahlrecht ist der Beirat dennoch nicht. Dieses Wahlrecht fordern AGABY und viele andere Organisationen schon aus Gründen der Gleichbehandlung aller nicht-deutscher Bürger_innen in Deutschland. Die Erfahrungen aus vielen anderen EU-Staaten zeigen, dass ein solches Wahlrecht auch umsetzbar ist (Kampagne „Demokratie braucht jede Stimme! - Kommunales Wahlrecht für Alle!“ der AGABY).
¹ Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung
² Migrant_innen, Zuwander_innen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Migrationsgeschichte – für Menschen, die selbst, deren Eltern oder Großeltern nach Deutschland zugewandert sind, gibt es eine Vielzahl an Begriffen und Zuschreibungen. In diesem Handbuch wird der Begriff Menschen mit Migrationsgeschichte verwendet, synonym zur Definition des Statistischen Bundesamts für „Menschen mit Migrationshintergrund“ (Kapitel 2.2.: Vorbereitende Schritte, Klapptext Menschen mit Migrationshintergrund – Definition und Datengrundlage). Der Begriff Migrationsgeschichte hebt jedoch stärker hervor, dass ein Großteil der Menschen in Deutschland geboren und nicht selbst eingewandert ist. Durch die Zuwanderung ihrer Eltern oder Großeltern haben sie in ihrer Familie eine Migrationsgeschichte.